Kerstin Celina/ Beiträge, Texte

Seit knapp drei Monaten leben wir alle mit der Bedrohung, am Corona-Virus zu , ggf. sogar lebensgefährlich zu erkranken. Mit dieser Bedrohung umzugehen stellt unser aller Leben auf den Kopf. Gesundheitspolitische Erfordernisse sind im Vordergrund, das ist wichtig und richtig. Die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen geraten aber – so erscheint es mir – viel zu weit in den Hintergrund.

Dabei geht es nicht nur um finanzielle Fragen (z.B. wer zahlt die Masken von persönlichen Assistenzkräften?), um Fragen, die viele Bürger*innen betreffen, egal ob mit oder ohne Behinderungen (Schulbesuch und Notbetreuung beispielsweise) und Fragen, die nur Menschen mit Behinderungen betreffen.

Schauen wir uns beispielsweise die Kommunikation zwischen Medizinern beziehungsweise der Regierung und der restlichen Bevölkerung an: Schon allein für einen Menschen ohne Beeinträchtigung ist es schwierig, zu verstehen, was „Reproduktionszahl“, „FFP-Masken“ oder „Exponentielles Wachstum“ bedeutet. Man kann aber so lange Informationen auf zahlreichen Websites suchen oder die unzähligen Pressekonferenzen des Robert-Koch-Instituts ansehen, bis man endlich durchblickt. Wenn man nun aber auf Gebärdendolmetscher oder auf eine Darstellung der Informationen in leichter Sprache angewiesen ist, fehlten einem – gerade am Anfang der Pandemie – wichtige Informationen. Ich setze mich in meiner Funktion als sozialpolitische Sprecherin der GRÜNEN Landtagsfraktion dafür ein, dass möglicherweise lebensrettende Auskünfte jedem zugängig gemacht werden – sei es mithilfe von Gebärdendolmetschern bei Livestreams oder einer konsequenten Übersetzung in leichter Sprache. Mehr dazu u.a. hier: https://www.kerstin-celina.de/corona-die-virusbekaempfung-aus-sozialpolitischer-sicht/

Auch was den Umgang mit besonders vulnerablen Gruppen in der Corona-Krise angeht, muss sich dringend etwas ändern: nach derzeitigem Stand sind lebensältere Menschen und vielleicht auch Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen und Behinderungen besonders gefährdet, bei einer Infektion einen schweren Krankheitsverlauf zu haben. Je länger wir aber mit Corona leben, desto klarer wird: die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (Pflegeheimbewohner*in, lebensälter, mit Behinderung) bedeutet nicht automatisch einen schweren Krankheitsverlauf bei einer Infektion. Und es darf nicht sein, dass für Menschen dieser Gruppen über eine lange Zeit pauschal Maßnahmen verordnet werden, die sie in stärkerem Maße einschränken als den rest der Bevölkerung. Dazu gehören Regelungen über Besuche von Angehörigen, Quarantäne-Regelungen bei der Rückkehr in Einrichtungen nach einem Familienbesuch oder Krankenhausaufenthalt, zeitliche Befristungen für Besuche von Angehörigen von todkranken Menschen usw. Mag in den ersten Wochen noch vieles in diesem Bereich aus Unsicherheit noch sehr strikt geregelt worden sein, müssen jetzt vorhandene Testkapzitäten dafür eingesetzt werden, dass z.B. die Rückkehr in eine stationäre Einrichtung nach einem Aufenthalt ausserhalb mit einem (bezahlten!) Test einhergeht und bei einem negativen Testergebnis die Quarantäne sofort beendet wird bzw. vielleicht gar nicht erst begonnen werden muss. Vermehrte Testkapazitäten schaffen nicht hundertprozentige Sicherheit, aber eine hohe Sicherheit für uns alle, und ein freieres, selbstbestimmtes Leben für alle. Es kann nicht sein, dass jeder, der sich gesund fühlt, arbeiten und einkaufen und leben kann, jemand, der aber pflegebedürftig, behindert oder beeinträchtigt ist, immer noch pauschal in seinen Entscheidungen eingeschränkt werden darf.

Nicht nur in der Corona-Krise, auch sonst ist funktionierende Kommunikation in allen Alltagssituationen essenziell, um niemanden auszuschließen und ist Grundlage für Teilhabe am gesellschaftlichen, aber auch am politischen Leben. Politische Teilhabe sollte von vielen verschiedenen Gruppen kommen, damit möglichst alle Interessen repräsentiert werden. Menschen ohne Behinderung können selbst entscheiden, ob sie sich engagieren wollen oder nicht, aber Menschen mit Behinderung haben diese Wahl oft nicht. Nicht nur kann es für sie schwieriger sein, an Informationen über politisches Engagement zu gelangen, es gibt oft auch ganz alltägliche Probleme wie den nicht barrierefreien Gemeinderatssaal. Dies wirkt abschreckend, obwohl es gerade wichtig wäre, mehr Menschen mit Behinderung in unseren Parlamenten und Verbänden zu haben. Wenn es nicht Betroffene gibt, die sich aktiv für ihre Belange einsetzen, geraten ihre Anliegen in den Hintergrund.

Auch wenn nicht jeder sich engagieren will oder das kann, sollte jeder die Möglichkeit haben, mitzuentscheiden, wer die Entscheidungen trifft. Bis das Bundesverfassungsgericht 2019 die Regelung als verfassungswidrig eingestuft hat, durften Menschen, die einen Betreuer besaßen, nicht wählen. Bei der Europawahl 2019 mussten Betroffene noch einen Antrag stellen, um wählen zu können, bis dann bei der Kommunalwahl in diesem Jahr endlich alle ohne Einschränkungen ihre Stimme abgeben konnten. Wie ich mich seit meinem Einzug in den Landtag dafür eingesetzt habe, können Sie gerne auf meiner Website nachlesen (https://www.kerstin-celina.de/themen/inklusion/).

Wir alle sind somit gefordert, sowohl Hürden für die Teilnahme von Menschen mit Behinderung zu beseitigen als auch aktiv zusammen mit Menschen mit Behinderung politische Entscheidungen zu treffen, die Inklusion verwirklichen.

Kerstin Celina, MdL

Sprecherin für Sozialpolitik, psychische Gesundheit und Inklusion

Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie

Ausschuss für Gesundheit und Pflege

Bündnis 90 / Die Grünen im Bayerischen Landtag

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