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Mein Name ist Maria Mayr, ich bin Bezirksrätin und stellvertretende
Fraktionssprecherin für die LINKE im Bezirkstag Oberbayern.
Zuerst einmal ein großes Danke an Patricia und alle Helfer*innen für die
Organisation dieses tollen Protests.

Es heißt oft, Menschen die von der Gesellschaft und Politik behindert werden, stünden nicht auf der Sonnenseite des Lebens – einmal davon abgesehen, dass das ein unsolidarisches und menschenverachtendes Bild ist – wenn wir uns mal auf diese Logik einlassen, müssen wir uns doch die Frage stellen:
Wer wirft eigentlich diesen Schatten, sodass einige Menschen nicht auf der Sonnenseite stehen können?
Machen wir gemeinsam einen kleinen Ausflug in den Alltag, den heute einige vielleicht schon so oder so ähnlich gemacht haben: den Weg zu dieser Demo.
Zur Vorbereitung auf diesen Protest mussten einige für heute eine Assistenz
finden, die sie hierher begleitet. Allein das kann eine riesiges Problem sein: Es gibt viel zu wenige Assistent*innen. Kein Wunder – sie werden schlecht bezahlt und von Arbeitnehmer*innenrechten, wie Feiertagzuschlägen usw. können diese in Bayern nur träumen. Und hab ich eigentlich noch genug
Assistenzstunden, damit ich sie für heute einsetzen kann? An dieser Hürde
gescheitert, bittet man seine Freund*innen, einen zu begleiten – kein Problem, oder doch? Zum Dank einen Kaffee und ein Essen ausgeben ist nicht drin – denn Familie und Freund*innen haben „eine emotionale Verpflichtung“ zu helfen, wie der Bezirk sagt.

Rechtzeitig an der S-Bahn angekommen, Tickets gekauft, Lift kaputt.
Durchschnittlich fallen an deutschen Bahnhöfen jeden Tag 179 Aufzüge aus.
Zum Glück war die Demo nicht am 26. Juni 2019: da kommt es an 354 Aufzügen zu Störungen. In der Behindertenrechtskonvention Artikel 9 steht unter anderem der gleichberechtigte Zugang zur physischen Umwelt und zu Transportmitteln. Also doch mit dem Taxi zum Marienplatz. Habe ich noch genug Taxischeine? Nein!
Mit viel Glück hilft die Freundin mit ihrem privaten PKW. Auf dem Weg zum Auto die gekaufte Tickets einem anderen Menschen schenken? Lieber nicht, für die Erstattung durch den Bezirk braucht man jeden einzelnen Beleg, um seinen Alltag rechtfertigen zu können.

Endlich am Marienplatz, gebe ich der Freundin Benzingeld für die Fahrt. Weit gefehlt: Freund*innen, die mich bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben begleiten, einzuladen, übernimmt der Bezirk nicht. Grund: Schwarzarbeit vorbeugen. Seit wann ist der Bezirk dafür zuständig?
Ihr wisst es besser als ich, dass ich so noch ewig weitermachen könnte, denn diese Geschichten kommen von euch. Und ich bin froh, dass wir diese tolle Unterstützung von so motivierten Aktivist*innen haben, die unsere Expert*innen sind, damit wir im Bezirkstag konkret politisch handeln können.
Aber auch wir LINKEN kämpfen im Bezirk gegen eine Bezirksverwaltung, die von sich behauptet, sie würde keine Fehler machen und wenn Leistungsempfänger*innen mit etwas nicht einverstanden sind, dann sollen sie eben Widerspruch einlegen – dazu haben sie ja das Recht.
Kein Problem für Menschen, die auf Hilfe des Bezirks angewiesen sind, ein
jahrelanges Verfahren zu führen, um am Ende vielleicht noch schlechter
dazustehen – gegen eine SPD, die jeden sozialen Fortschritt blockiert und sich damit – ohne Koalitionszwang – auf eine Stufe mit CSU und Freien Wählern stellt – gegen einen Bezirk Oberbayern, der sich großspurig Inklusion auf die Fahnen schreibt, aber gleichzeitig Menschen zu Bittsteller*innen macht und über alle Maßen kontrolliert.

Sie alle tun so, als ob Menschen mit Hilfebedarf nur ihr Hand aufhalten. Sie alle vergessen hierbei, dass es eine Behindertenrechtskonvention gibt:
„Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller
Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit
Behinderungen, ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu
gewährleisten und zu fördern“ (Behindertenrechtskonversion, Artikel 4,
Allgemeine Verpflichtungen).

Wenn ich jeden meiner Schritte rechtfertigen muss, wenn ich mich damit
rumschlagen muss, dass eine Badehose nicht auf den gleichen Kassenbeleg
darf, wie eine Unterhose, wenn ich in einer Gesellschaft lebe, die mich als
unproduktive Bittstellerin betrachtet, usw. usf. dann können wir noch lange
nicht von Inklusion sprechen.

Der Bezirk könnte anders handeln – andere Bezirke machen es vor – die
gesetzlichen Grundlagen sind da, aber er hat sich dafür entschieden – und
entscheidet sich jeden Tag dafür – der kapitalistischen Logik zu folgen und das Recht und die Pflicht durcheinanderzubringen: er hat die Pflicht, ihr das Menschenrecht!


Maria Mayr (Die LINKE) – Bezirksrätin

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1 Kommentar

  1. Hallo , nachdem ich dies gelesen habe bin ich etwas zwiegspalten , denn einerseits bestätigt sich Vieles , andererseits kann ich diese Phrasen wer auf der Sonnenseite stehen darf nicht mehr hören . Ich kann zwar seit einiger Zeit mich als Mensch mit Behinderung benennen , aus psychischer Sicht , hab aber ein extrem negativen Erfahrungsschaden durch die Schulmedizin die Negativsprache abzulehnen . Trotzdem behindert mich natürlich dieses ganze „psychische“ am Leben neben den Ämtern und Behörden , Hilfsorganisationen , Sozialverbände , caritative Einrichtungen in meiner Umgebung. Ich werde seit 1 Jahr nach Wechsel Grundsicherung im Alter bei voller Erwarbsminderung regelrecht schikaniert und erlebe die Schattenseite der Sozialleistungen . Der Begriff „Bittsteller“ sehe ich mitlerweile anderst , nähmlich „Bettler“ . Die Leistungen übrigens ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung n i c h t in Anspruch nimmt – mit sozialem Recht auf peinliche Erniedrigung zu verzichten. Sozialleistungen berechtigt und unmenschlich überprüft und durchleuchtet ist ein Albtraum menschlicher Grundbedürfnisse nach sozialem Abstieg zusätzlich erniedrigt , gepeinigt , geschunden zu werden , unter dem Deckmantel :

    „Wir haben in Deutschland das beste Sozialsystem der Welt!“

    Ahja?? Wirklich ?? Viele Menschen werden die Augen verdrehen die sozial abgestiegen sind , oder besser gesagt gefallen oder gestoßen wurden . Ein gutes Sozialsystem sollte „Abstürtze“ vermeiden oder abbremsen , unsere förden diese eklatant sogar . Meine Erfahrungen aktuell sind skandalös werden diese sozialen Schikanen unter den Teppich gekehrt . Sogar Sozialverbände versagten bei mir wo man dachte die helfen einem. Die ganze Debatte von Sonnenseiten und bestem Sozialsystem der Welt verhindert in fast keinem Fall die Obdachlosigkeit abgestiegener Menschen , sie fördert sie sogar . Bitte es geht nicht darum das finanzielle Mittel nicht berechtigt sein müssen oder Überfluss beschehrt , aber die Berechnung was ein Mensch wert ist ist erbärmlich . Ich habe zur Zeit 500€ EU Rente und Aufstockung aktuell 201€ , wobei die Miete auf Papier übernommen , aber nicht voll bezahlt wird vom Amt. Was würde mir nun reell und konstruktiv helfen , welcher Betrag ? Einzelperson ? Wohnfläche ca. 37qm? 270€ Miete/warm? …….. sag mal zwischen 800€ und 850€ würden mir reell genügen . Aktuell muss ich trotz der Höhe (Andere haben weniger) jeden Euro 3mal umdrehen , und kann nichts auf die Seite legen . Willkommen auf meiner Sonnenseite (?) …….. Gruß Michael Kehl/Bayern

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