Liebe Patricia,
sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank, dass ich heute hier sprechen darf. Vielen Dank, dass so viele trotz Corona-Auflagen gekommen sind. Und ich bin sicher, dass auch ganz viele unseren „Krawall“ verfolgen werden und ebenso viele später nachlesen werden, was hier gesprochen wurde.
Deshalb lasst mich kurz etwas zu mir sagen: Ich bin 1999, nachdem ich schon länger schwerhörig war, vollständig ertaubt. Deshalb war ich bereits in Selbsthilfegruppen aktiv. Nun musste ich am eigenen Leib ganz konkret erfahren, mit welchen Barrieren Menschen mit Behinderung, insbesondere mit Hörschädigung, in Gesellschaft und Politik zu kämpfen haben. Meine Sehkraft verlor ich auch nach und nach, schließlich auch ein Auge, so dass ich auch als sehbehindert eingestuft bin. Aufgrund verschiedener weiterer Erkrankungen bin ich zudem in meiner Mobilität eingeschränkt. Je nach Tagesform bin ich dann mit meinem Rolli oder mit dem Rollator unterwegs. Deshalb weiß ich in vielerlei Hinsicht, welche Barrieren wo sind. Und wo Menschen mit Behinderung Probleme haben.
Für die Arbeitsgemeinschaft Gelsenkirchener Behindertenverbände bin ich seit 2014 als gewählter Vertreter im Beirat für Menschen mit Behinderung Gelsenkirchen. Dort setze ich mich schon sehr lange für die Belange von Menschen mit Behinderung ein. Ich berate auch andere, welche Hilfsmittel sie nutzen können, um besser teilhaben zu können. Ich unterstütze sie dabei, ihre Rechte einzufordern und wahrzunehmen.
Vor zwei Jahren bin ich GRÜNER geworden. Das will ich nicht verschweigen. Denn aus meiner Sicht tritt diese Partei am konsequentesten für Inklusion ein. Dort erfahre ich Unterstützung für meine Ziele und meine Arbeit. Seither mische ich auch verstärkt in der Kommunalpolitik mit und kandidiere auf der grünen Reserveliste für den Stadtrat sowie für eine Bezirksvertretung. Ebenso kandidiere ich für die Landschaftsversammlung Westfalen Lippe. Das ist ein Regionalverband, der auch für Inklusion zuständig ist. In einer grünen Landesarbeitsgemeinschaft arbeite ich mit daran, auch in NRW eine Arbeitsgruppe Behindertenpolitik aufzubauen, damit wir besser in der Bundesarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik der Grünen besser vertreten sind.
Darüber hinaus bin ich Inklusionsbeauftragter des Vereins Anno 1904 e.V. Das ist ein Verein, der Schalke-Fans einen Treffpunkt bietet, sich aber auch stark macht für die Entwicklung des Stadtteils Schalke-Nord, Dort liegt die bekannte „Schalker Meile“, durch die die Fans zum Stadion anreisen, wo sie sich treffen und wo die berühmte Glückauf-Kampfbahn liegt. Das ist das alte Stadion des FC Gelsenkirchen Schalke 04.
Dort arbeite ich übrigens auch in der AG „Schalke für alle“ mit. Die AG kümmert sich um Barrierefreiheit im Stadion. Bei Heimspielen mit Fans betreue ich im Auftrag des Vereins Menschen mit Behinderung in der Arena.
Als Corona los ging, habe ich schnell gemerkt, dass insbesondere Menschen mit Hörbehinderung schlecht dran sind. Sie können nicht einfach telefonieren und beim Gesundheitsamt oder Arzt anrufen. Deshalb biete ich seither in unserem Vereinsheim auf der Schalker Meile regelmäßig Beratung und Unterstützung an. Das wird gut wahrgenommen – und ganz nebenbei entwickelt sich unser Vereinsheim zu einer Art Stadtteilzentrum.
Aber: Warum sind wir eigentlich hier? Wir sind hier, weil wir ungeduldig sind. Deutschland hat im Jahr 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet. Unser Land hat sich damit verpflichtet, Inklusion für alle und überall umzusetzen.
Nun warten wir schon über 10 Jahre darauf, dass ein Menschenrecht endlich umgesetzt wird. Wir haben keine Lust darauf, noch länger zu warten, bis wir mitgedacht werden. Bis endlich eine barrierefreie Teilhabe an Veranstaltungen möglich ist. Das geht zum Beispiel durch den Einsatz von Höranlagen und Gebärdensprachdolmetschung oder Schriftmittlung. Wie lang sollen wir warten, bis ganz selbstverständlich unsere Städte und Busse und Bahnen von uns genutzt werden können? Wir uns gefahrlos bewegen können? Barrierefreiheit kommt übrigens allen zugute! Alten Menschen, Menschen, die Kinderwagen schieben – oder auch ihre Fahrräder oder Roller mitnehmen. Barrierefreiheit macht unsere Städte und Dörfer für alle lebenswerter.
Wir wollen selbstverständlich teilhaben können. Wir wollen kommunizieren mit anderen Menschen. Wir wollen in Politik mitmischen, wie ich das jetzt zunehmend mache. Wir wollen an Kulturveranstaltungen teilnehmen und Sport treiben. Wir sind nämlich Teil dieser Gesellschaft. Und wir sind nicht wenige!
Wir müssen der Gesellschaft erklären, was Inklusion bedeutet. Denn Inklusion bedeutet nicht nur, dass Menschen mit Behinderung mit Menschen ohne Behinderung gemeinsam in einem Klassenzimmer sitzen und lernen können. Inklusion bedeutet, dass alle ganz selbstverständlich Teil der Gesellschaft sind. Große, Kleine, Dicke, Dünne, Muslime, Christen, Gehörlose, Blinde, Frauen, Männer, Schwule oder Lesben – ich könnte hier noch mehr aufzählen. Alle sind Teil der Gesellschaft und alle haben etwas beizutragen! Das muss nur gesehen werden.
Vielleicht sollten wir „Inclusion for Future“ begründen. Und mit regelmäßigen Demonstrationen darauf aufmerksam machen, dass Inklusion immer noch nicht umgesetzt ist. Ähnlich wie die jungen Leute mit „Fridays for Future“ jeden Freitag darauf aufmerksam machen, dass die Klimaziele, zu denen sich auch Deutschland verpflichtet hat, nicht eingehalten werden. Vielleicht lässt sich eine Kooperation begründen. „Fridays for Future“ fordern ein, dass eine Verpflichtung eingehalten wird. So haben auch wir eine Verpflichtung einzufordern. Ein Menschenrecht. „Inclusion for Future“. Inklusion Jetzt!
Klaus-Dieter Seiffert – Inklusionsaktivist aus Gelsenkirchen
Der Sänger Vincenzo Decaro begleitete Klaus-Dieter Seiffert und bereitete mit seinem Gesang dem Marienplatz München einen Magic Moment, in dem alle den Atem anhielten, weil es sooo schön war.