Als dieses Land am 23. März in den Lockdown ging, haben die meisten Menschen das mit großem Verständnis mitgetragen. Dazu beigetragen haben sicherlich die schockierenden Bilder aus Italien von Leichensäcken, die aus Krankenhäusern getragen wurde, und die verzweifelten Berichte von Ärzt*innen und Pfleger*innen, die Menschen nicht helfen konnten, weil das Gesundheitswesen hoffnungslos überfordert war.
Wer alt ist, mit einer Beeinträchtigung oder Vorerkrankung lebt, ist von den Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie besonders stark betroffen. Das gilt noch mehr für Menschen, die in stationären Wohnformen leben: Sie sind durch Besuchsverbote und teilweise Ausgangssperren in ihren Grundrechten viel stärker eingeschränkt als andere. Es ist kaum zu ermessen, wie schmerzvoll es sein muss, in einer ohnehin angespannten Situation über viele Wochen überhaupt keinen direkten Kontakt mehr zu den nächsten Verwandten und Freunden haben zu dürfen. Begründet werden diese Verbote mit dem besonderen Schutzbedürfnis von Menschen aus Risikogruppen, die bei einer Infektion viel häufiger mit einem schweren Verlauf rechnen müssten.
Die Häufung von Corona-Infektionen und -Todesfällen in Behinderteneinrichtungen und Pflegeheimen – laut Robert Koch-Institut (RKI) lebten mindestens 37 Prozent der Corona-Toten, wahrscheinlich sogar fast 50 Prozent, zuvor in Heimen – verweist auf ein enormes Problem: Wenn das Virus in ein Wohn- oder Pflegeheim eindringt, verbreitet es sich rasend schnell. Bewohner*innen werden dann isoliert und müssen wochenlang auf ihren Zimmern bleiben. So kann die Infektionswelle im besten Fall gebremst werden. Viele sterben trotzdem.
Keine Berücksichtigung von Menschen von Risikogruppe und selbstbestimmt leben
Zwar scheint sich die Corona-Situation derzeit in Deutschland zu entspannen und das Virus unter Kontrolle zu sein. Doch in Einrichtungen, in denen viele Menschen zusammen leben müssen, bleibt die Lage unkalkulierbar. Und während die Deutsche Bundesliga einen privilegierten Zugang zu regelmäßigen Tests bekommen soll, bleibt das denen verwehrt, die keine Alternative dazu haben, in einer gefährlichen Situation zu verharren. Dabei wäre es so wichtig, insbesondere das Personal in Wohn- und Pflegeheimen regelmäßig auf Covid-19 zu testen, damit es den Virus nicht unbemerkt verbreitet. Das müsste genauso selbstverständlich sein wie eine ausreichende Ausstattung mit Hygieneartikeln wie Masken und Desinfektionsmitteln.
Auch das Leben von Menschen, die einer Risikogruppe angehören und selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden leben, ist stark beschnitten. Viele von ihnen isolieren sich freiwillig. Nehmen sie Assistenzdienste in Anspruch, kann das nur bedingt gelingen. Trotz aller Vorsicht führen Assistent*innen natürlich das Leben in ihrem üblichen Umfeld weiter – mit entsprechendem Infektionsrisiko. Deshalb wäre eine vernünftige Ausstattung für sie ebenso wichtig wie der Zugang zu regelmäßigen Tests, um die Ansteckungsgefahr so gering wie möglich zu halten. Aber auch diese Menschen sind mit ihrer Situation nach wie vor allein gelassen.
In der öffentlichen Diskussion gehen diese drängenden Probleme unter; es sind weder politisch noch fachlich lösende Konzepte in Sicht. Stattdessen wird eine kakophonische Lockerungsdebatte geführt, in die sich zunehmend Stimmen mischen, die den Schutz der Risikogruppen bagatellisieren und im schlimmsten Fall radikal-utilitaristisch den Tod von besonders verletzlichen Menschen zugunsten der unterstellten Interessen einer Mehrheit in Kauf nehmen möchten.
Forderung nach verfassungskonformen Regeln für Triage
In dieser überaus bedrohlichen Gemengelage kommt es kaum noch darauf an, ob in Deutschland tatsächlich aufgrund der Corona-Pandemie eine Situation entsteht, in der die Krankenhaus-Kapazitäten nicht ausreichen und Ärzt*innen auswählen müssten, wer vorrangig behandelt wird und wer nicht (Triage). Doch die Problematik von Ausgrenzung und Marginalisierung bestimmter Gruppen verdichtet sich in der Debatte um die Triage.
Medizinische Fachgesellschaften und der Deutsche Ethikrat haben Ende März Empfehlungen abgegeben, wie in solchen Situationen entschieden werden soll. Sie sind hochumstritten, weil sie nicht gewährleisten, dass jeder Mensch die gleiche Chance auf Behandlung hat. Denn die Empfehlungen sehen vor, dass Patient*innen unter anderem nach „Gebrechlichkeit“ sortiert werden. Dabei führen körperliche Beeinträchtigung oder bestimmte Hilfebedarfe, wie Nutzung eines Rollstuhls oder Persönliche Assistenz, automatisch zu einer schlechteren Bewertung des Gesundheitszustands. Behinderte Menschen fürchten deshalb zu Recht, dass sie im Ernstfall kaum eine Chance auf Behandlung haben – unabhängig davon, ob sie mithilfe einer Intensivbehandlung wieder gesund werden könnten.
Das Gefühl gesellschaftlicher Entfremdung und Exklusion wirkt bei vielen Menschen stark und erfordert als Antwort eine politische und rechtliche Klarstellung, dass die Chance auf Zugang zu einer lebensrettenden Therapie für alle Menschen gleichermaßen besteht. Auch in der Krise gilt: Die Würde aller Menschen ist unantastbar! Der Bundesgesetzgeber ist deshalb in der Pflicht, verfassungskonforme Regeln zur Triage zu formulieren.
Corinna Rüffer MdB, behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen
Mein behinderter Freund erlebt das seit August 2019! Und niemand fühlt sich zuständig, er kam in ein Heim und darf mich und seine Freunde, mit denen er 2 Jahre gelebt hat nicht mehr sehen und keiner fühlt sich zuständig! Warum? Es gibt Grundrechte, UN-KONVENTIONEN, Bundesteilhabegesetz. Trotzdem schaut niemand genau hin und versucht zu helfen!mir zu helfen ihn wenigstens wieder zu sehen, meinen Freund,er ist ein Mensch wie du und Ich! Ein Mensch mit Rechten! Hoffe das Frau Rüffer gehört wird, dann gibt es vielleicht auch eine Lösung für mein Problem!